Geschichte der Kosmos-Experimentierkästen

Ich habe bereits verschiedentlich angemerkt, dass ich kein Sammler von Experimentierkästen bin. Deshalb geht es mir bei diesem geschichtlichen Abriss nicht um die genaue Auflistung der verschiedenen Auflagen oder um Deckelbilder und ähnliche Details. Vielmehr möchte ich versuchen, am Beispiel der Kosmos-Kästen die Entwicklung des elektronischen Experimentierens aufzuzeigen. Die Experimentierkästen reflektieren gewissermaßen das Verhältnis der Menschen zur elektronischen Technik, und deshalb wirft der zusammenfassende Rückblick gleichzeitig ein Schlaglicht auf die gesellschaftliche Entwicklung.

Zunächst ein Überblick in Form einer Zeitleiste. [Anmerkung]

In der unteren Schiene sind die Kästen mit geringerem Anspruch aufgeführt. Sie wenden sich hauptsächlich an Kinder und sind durch einen gewissen Spielcharakter gekennzeichnet. Die Kästen in der oberen Schiene sind anspruchsvoller und betonen vor allem den Lernaspekt, wenngleich auch hier noch spielerische Elemente dazukommen.

A. Die Anfangsperiode

Als in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts das Radiohören zum Volkssport wurde, hatte auch der Selbstbau von Radios Konjunktur. Die Menschen waren brennend daran interessiert, den geheimnisvollen Radiowellen auf die Spur zu kommen. War der Radioempfang an sich schon ein Erlebnis, so ließ sich das Vergnügen daran noch steigern, wenn man den Empfänger selbst gebaut hatte.

So war es nur folgerichtig, dass Kosmos zur Palette der schon bestehenden Experimentierkästen einen Radiokasten hinzufügte. Dieser in fünf Auflagen erschienene Kasten "Radio-Technik" war reichhaltig ausgestattet und bot eine Fülle von Versuchen rund um Funk und Radio, bis hin zum Zweikreiser mit 2 Röhren. Das Material: Grundplatten aus Buchenholz, Messingklemmen mit Rändelschrauben, Flachspulen, großflächiger Quetschdrehko mit einer Rotorplatte. Das Material befand sich in einem Holzkasten, der gleichzeitig als Gehäuse diente.

Einige Jahre später erschien der erste Radiomann, quasi als abgemagerte Version des großen Radio-Baukastens. Und doch hatte der Radiomann ein eigenes Profil, das vor allem auf den Autor des Anleitungsbuches, Wilhelm Fröhlich, zurückging. Der Radiomann bot einen kindgerechten, leicht verständlichen und in sich geschlossenen Lehrgang zu den elementaren Funktionen des Radioempfangs. Dieses Profil zog sich wie ein roter Faden durch alle Versionen des Radiomanns und wurde erst am Schluss ein wenig aufgeweicht bzw. ausgeweitet.

B. Die Zeit des elektronischen Aufbruchs

Etwa in der zweiten Hälfte der 50er Jahre begann das, was man "den Siegeszug der Elektronik" nennen könnte. Begüngstigt durch die einsetzende Transistorisierung erhielt die Elektronik Einzug in immer mehr technische Bereiche. Es drang ins Bewußtsein der Menschen, dass die Elektronik Innovationen ermöglichte, die bisher unvorstellbar waren. Das portable Transistorradio oder das Fernsehgerät waren augenfällige Beispiele dieser Entwicklung.

Natürlich stellte sich Kosmos auf diese Entwicklung ein, und wiederum zuerst auf der gehobenen Schiene der Experimentierkästen. Der Radio-Baukasten war inzwischen veraltert und mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden. Nun übernahm Heinz Richter mit "Radio+Elektronik" das Konzept. Zum ersten Mal tauchte damit ein Experimentiergerät in Form eines Experimentierpultes auf, eine richtungsweisende Form, die sich allerdings erst viel später allgemein durchsetzte.

"Radio+Elektronik" verwendete zuerst nur Transistoren, doch mit dem Ergänzungskasten D kam dann doch die Röhre zurück. Es hatte sich wohl gezeigt, dass die Radioröhre nach wie vor ein interessantes Experimentierobjekt darstellte, und außerdem war sie immer noch sehr verbreitet. Die meisten stationären Rundfunkempfänger waren schließlich noch Röhrengeräte.

Auch die Ausweitung des Versuchsangebotes auf allgemeinelektronische Themen fand nur zaghaft statt. Nach wie vor bestand der größere Teil der Versuche aus Radio- und Funkversuchen, wobei berücksichtigt werden muss, dass dieses der Bereich war, in dem Heinz Richter sich am wohlsten fühlte.

In den 60-er Jahren wurde "Radio+Elektronik" durch das "Kosmos-Labor X" abgelöst, das ebenfalls von Heinz Richter betreut wurde. Das Schaltpult erhielt eine zeitgemäße Form und eine wesentlich bessere Ausstattung. Röhren wurden nicht mehr verwendet. Ebenso fanden allgemeinelektronische Themen eine größere Beachtung. Und doch: Auch wenn dieser Kasten (Grundkasten + einige Ergänzungskästen) ein breites elektronisches Spektrum abdeckte, so fanden sich die Höhepunkte doch wieder im Radio- und Funkbereich. Heinz Richter hätte wohl über seinen eigenen Schatten springen müssen, um eine andere Gewichtung zu bevorzugen. Immerhin stellte das "Kosmos-Labor X" in Verbindung mit den Begleitbüchern, dem "Telekosmos-Praktikum" ein umfangreiches, abgerundetes Experimentiersstem dar, das lange Zeit im Angebot war, selbst als man schon nach neuen Wegen suchte. - Mit dem "Elektronik-Labor X" endete diese Schiene; es gab keinen Nachfolger mehr.

Auf der Elementarschiene (beim Radiomann) vollzog sich Ende der 50er Jahre mit der 13. Auflage ebenfalls ein Wandel, wenngleich nicht so abrupt. Für eine gewisse Kontinuität sorgte nämlich schon der Lehrgang von Wilhelm Fröhlich, der weiterhin Bestand hatte. Äußere Anzeichen des Wandels: Die Buchenholzplatte wurde durch eine Kunststoffplatte ersetzt; anstelle der Röhre DM300 trat die EF98, es kamen Transistoren hinzu. Im Laufe der folgenden Auflagen wurden die Versuche ausgeweitet, allerdings sehr zurückhaltend. In einem NF-Ergänzungskasten wurden elektroakustische Versuche hinzugenommen, doch im Kern blieb der Radiomann bei dem, was sein Name versprach.

C. Die Übergangsperiode - Suche nach neuen experimentellen Wegen

Anfang der 70er Jahre hatte sich die Elektronik schon weitgehend etabliert. Die Transistorisierung war zum größten Teil abgeschlossen; Röhren fanden sich nur noch in wenigen Geräten, z.B. in den Leistungsstufen von Fernsehern. Inzwischen hatte auch die Miniaturisierung in Form von integrierten Schaltung einen beachtlichen Stand erreicht. Die Elektronik begann zu boomen.

Mit der Elektronik boomten zugleich die elektronischen Experimentiersysteme. Nie hat es ein größeres Angebot gegeben wie in den folgenden Jahren. Kosmos sah sich einer erheblichen Konkurrenz ausgesetzt (Philips, Lectron, Stabo, um nur einige zu nennen) und reagierte mit dem "Kosmotronik-System". Die bisherigen Kästen ließen sich kaum den neuen Herausforderungen anpassen. Sowohl das "Elektronik-Labor X" als auch der Radiomann waren in sich viel zu geschlossen, als dass man sie hätte ausweiten können.

Das "Kosmotronik-System" basierte, technisch gesehen, auf quadratischen Kunsstoffplatten, die mit Steckfedern versehen waren. Die Steckfedern ähnelten den Kontaktschienen von Steckplatinen, so dass Bauteile direkt aufgesteckt werden konnten. So überzeugend und zukunftsorientiert diese Technik auch sein mochte, sie wurde nur halbherzig umgesetzt. Es gab noch kein durchgehendes Raster, sondern die Anordnung der Steckfedern ähnelte dem Prinzip, das beim Radiomann angewandt wurde: Bauteile mussten an eigens dafür vorgesehenen Stellen aufgesteckt werden. Für Transistoren z.B. gab es eine sternförmige Anordnung von drei Steckfedern.

Mehrere solcher Kosmotronik-Platten konnten in einen Rahmen mit Frontplatte gestellt werden, so dass der Versuchsaufbau ein geräteähnliches Aussehen erhielt. Zu einem pultförmigen Aufbau konnte man sich dagegen noch nicht durchringen. Vermutlich hatten Flexibilität und Ausbaufähigkeit höchste Priorität, so dass man den Modulen den Vorzug gab. Ausbaufähig war das Kosmotronik-System durchaus, man konnte sogar ein spezielles Zusatzmodul für eigene Experimente erwerben.

Die ersten Kosmotronik-Kästen knüpften an den Radiomann an. So gab es die Kästen "Radio + Elektronik 1" (bezeichnet als "neuer Radiomann"), "Radio + Elektronik 2" (Hf-Zusatz) und "Radio + Elektronik 3" (NF-Zusatz). Aber schon bald löste sich das System vom Radiomann und ging eigene Wege. Fast jährlich kamen neue Varianten heraus. Die Kastenserie wurde ständig geändert und ausgebaut und entfernte sich immer mehr von der elementaren Radiotechnik. Kompliziertere Versuche waren nun möglich, womit sich Kosmos wieder auf die anspruchsvollere Schiene der Experimentierkästen zubewegte. Doch irgenwie machte das System am Schluss einen verzettelten Eindruck ...

D. Die neuere Periode

Mitte der 80er Jahre begann die Zeit der Heimcomputer. Zunächst war es der legendäre Commodore C64, der die Haushalte und Kinderzimmer eroberte, fünf Jahre später wurde er mehr und mehr durch den PC abgelöst. Die elektronischen Taschenrechner gelangten in Haushalte und Schulen, die Uhr am Handgelenk zeigte digital an, ebenso wie das Thermometer vor der Sparkasse. Hobby-Elektroniker befassten sich mit Interfaces zum Computer oder EPROM-Programmiergeräten.

Wie sollten die Hersteller von Experimentierkästen auf diese Explosion elektronischer Technik reagieren? Vor allem aber: Wie konnte man Kinder und Jugendliche noch für einfache elektronische Versuche begeistern, wenn auf dem Schülerschreibtisch eine Spielkonsole oder ein Computer stand? Trotz der Gewissheit, mit den Experimentierkästen immer weiter hinter der Realität zurückbleiben zu müssen, blieb nur die Flucht nach vorne, und die bedeutete eine weitestgehende Anpassung an den elektronischen Fortschritt. Moderne Komponenten wie optoelektronische Bauelemente oder integrierte Schaltungen mussten einbezogen werden, und das Niveau der Versuche bezüglich ihres Unterhaltungswertes oder ihres Lerneffekts musste angehoben werden.

Das Kosmotronik-System war ausgereizt, und so brachte Kosmos das Experimentiersystem "electronic X" heraus. Nach den Jahren des Suchens gab es endlich wieder ein konsistentes System "aus einem Guss". Das Gerät hatte einen pultförmigen Bau mit einer Experimentierplatte, in der die (von Kosmotronik übernommenen) Steckfedern streng rasterförmig angeordnet waren. Damit konnten auch integrierte Schaltungen oder kleine, vorverdrahtete Steckmodule in die Schaltungen einbezogen werden. Das am häufigsten eingesetzte Modul war der integrierte Verstärker TBA 820, allerdings in einer Minimalbeschaltung, die eine vielseitige Verwendung erlaubte.

Doch außer den genannten Steckfedern gab es nicht viel, was an die vorangegangen Experimentierkästen anknüpfte. Selbst Radioversuche konnten mit den Kästen der Standardserie kaum noch durchgeführt werden. Es war nicht einmal mehr ein Drehkondensator vorhanden; die Abstimmung musste durch Drehen des Kerns in einer handelsüblichen Miniaturspule erfolgen - kaum mehr als eine Behelfslösung. Erst später kam ein Ergänzungskasten ("Radio Tech") hinzu, der diese wichtigen Experimente auf komfortablere Weise ermöglichte.

An dieser Stelle ein kleiner Blick über den Tellerrand: Interessant ist, dass zu dieser Zeit auch beim Philips-System, das nun von Schuco hergestellt und vertrieben wurde, eine ähnliche Modernisierung stattfand. Wie bei Kosmos wurden integegrierte Schaltungen einbezogen; selbst für den "AMP" gab es bei Schuco ein Äquivalent, ebenfalls mit dem Verstärker-IC TBA820 ausgestattet. Ob und wieweit sich die beiden Systeme gegenseitig beeinflussten, ist schwer zu sagen.

Bereits Anfang der 90er Jahre wurde "electronic X" durch "electronic XN" abgelöst. Es wurde ein neues Schaltpult präsentiert, das wesentlich futuristischer wirkte, aber auch größer und klobiger war. Die Steckfedern waren ein wenig anders angeordnet. Vor allem aber kamen der Drehkondensator und mit ihm die Radioversuche zurück.

Ansonsten änderte sich nicht allzu viel am Konzept. Der Lehrgang wurde noch etwas ausgeweitet und systematischer angelegt; einige weitere Komponenten wie der Operationsverstärker oder der Timer 555 wurden einbezogen. Ein Ergänzungskasten enthielt ein Computerinterface, so dass die elektronischen Vorgänge auf dem Bildschirm sichtbar gemacht werden konnten. Doch Computertechnik ist kurzlebig, uns so verschwand das Interface bald wieder aus dem Programm.

Im aktuellen Programm sind heute (2006) nur noch die drei Grundkästen XN1000 - XN3000. Das Fehlen der Ausbaukästen könnte ein Anzeichen sein, dass die Serie langsam ausläuft. Doch was kommt danach? Wird es zukünftig überhaupt noch einen "großen" elektronischen Systemkasten geben? Viele der Neuerscheinungen deuten auf eine neue Übergangsphase hin, auf das Suchen noch zeitgemäßen Wegen. Eine klare Linie ist noch nicht zu erkennen, allenfalls die Tendenz, das Experimentieren nach dem Motto "schnell, easy und mühelos" zu gestalten. Ob das der richtige Weg ist?


Anmerkung: Die Erscheinungsjahre der letzten Experimentierkästen (ab 1972) wurden anhand von Prospektmaterial ermittelt. Da die Prospekte nicht lückenlos vorliegen, konnten einige Daten nur ungefähr bestimmt werden. Zurück