Lectron - Erfahrungen und Wertung

Während meiner Studienzeit hatte ich Gelegenheit, das Lectron-System kennenzulernen. Als Student konnte ich mir den Kasten zwar nicht leisten, aber da ich eine Seminararbeit über elektronische Experimentierkästen schrieb, konnte ich mir "einen Lectron" für einige Wochen von der Uni ausleihen. Die Ausstattung entsprach etwa dem heutigen Start- und Ausbausystem.

Am Wohnzimmertisch spielte ich das gesamte Versuchsrepertoire durch. Es war ein ganz anderes Experimentieren als etwa mit dem Radiomann oder dem Philips-System. Die Versuche waren schnell "zusammengeschoben", und das, was da auf der Grundplatte entstand, machte nie den Eindruck des Provisorischen. Vielmehr hatte ich das Gefühl, funktionsfähige Geräte aufzubauen, die zudem noch außerordentlich ästhetisch aussahen.

Die Auseinandersetzung mit der Theorie erfolgte fast zwangsläufig. Der schaltplanähnliche Aufbauf verführte dazu, Widerstände und Kondensatoren auszutauschen und die Wirkung dieser Änderungen zu beobachten - und zu interpretieren.

Schwieriger wurde es, wenn eine Schaltung umgebaut oder erweitert werden sollte. Dann mussten andere Leitungsführungen gesucht werden, mitunter war sogar der gesamte Aufbau betroffen. So einfach es war, einen Versuch nach Vorlage nachzubauen, so aufwendig stellte es sich manchmal heraus, einen Versuchsaufbau von Anfang an vernünftig zu gestalten. Sicher, auch das Suchen nach einer günstigen Anordnung der Bausteine war hochinteressant, aber für das schnelle Ausprobieren einer Schaltung war das System nicht sonderlich geeignet - wenn es sich nicht gerade um simple Schaltungen handelte.

Ein weiterer Punkt, der gelegentlich störte: Wenn eine Schaltung nicht auf Anhieb funktionierte, waren fast immer unzureichende Kontakte dafür verantwortlich. Die Bausteine mussten sehr sorgfältig zusammengeschoben werden, auch (oder vor allem) nach dem Austausch von Bausteinen.

Mir war nicht bekannt, dass Lectron heute immer noch gebaut wird. Als ich vor einiger Zeit davon erfuhr, erwarb ich das Startsystem sowie den Kasten "Radiotechnik". Die erste Überraschung: die erwarteten Kontaktprobleme konnte ich nicht mehr (oder kaum noch) feststellen. Entweder wurde das System technisch verbessert oder ich bin damals zu rustikal mit den Versuchen umgegangen. Die zweite Überraschung: Trotz aller Erweiterungen und Innovationen enthält das System noch Elemente, die auf die Anfangszeit zurückgehen. In welchem anderen System findet man z.B. heute noch Germanium-Transistoren? Einen Bruch oder Neuanfang hat es offensichtlich in der ganzen Zeit der Lectron-Geschichte nicht gegeben.

Soweit meine eigenen Erfahrungen mit dem Lectron-System. Unabhängig davon bleibt festzustellen:

  • Lectron ist zweifellos das System mit den übersichtlichsten Versuchsaufbauten.
  • Lectron ist (hinter Philips/Schuco) das System mit dem größten und vielseitigsten Versuchsangebot.
  • Lectron ist das System mit dem klarsten technischen Profil.
  • Lectron ist das "schnellste" System, wenn es um den Auf- und Abbau von Versuchen geht.
Zu diesen Superlativen wollte ich ursprünglich noch den Preis zählen (die Kästen sind keineswegs billig), aber ein Blick in die neueste Preisliste von Kosmos veranlasste mich, davon Abstand zu nehmen.

Doch in einem andern Punkt muss ich noch einmal zum Superlativ greifen: Lectron ist mit Abstand das abstrakteste System, die elektronischen Bauteile werden mehr oder weniger auf ihre Schaltbilder reduziert. Insofern stellt Lectron einen Kontrapunkt etwa zum Radiomann dar, wo elektronische Bauteile teilweise sogar selbst hergestellt werden. Damit verzichtet Lectron auf den unmittelbaren Zugang zu konkreten Bauelementen, fördert auf der anderen Seite aber den systematisch-theoretischen Einstieg in die Elektronik, ohne handwerkliche Barrieren.

Andererseits kann handwerkliche Mühe durchaus die Freude am Ergebnis steigern. Wer sich stundenlang mit der Verdrahtung einer komplizierten Schaltung befasst hat und nach allem Aufwand umso erfreuter feststellt, dass es funktioniert, kann diesen Aspekt würdigen. Bei Lectron gibt es solchen Aufwand nicht, hier gelangt man unkompliziert und schnell zum Ergebnis - und damit zu den theoretischen Fragen, die der Versuch beinhaltet.

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